Vanessa Henn I Soft Serve
Ich beobachte, dokumentiere, suche oder finde. Ich sammle, arrangiere und kombiniere.“ Das sagt Vanessa Henn (*1970 in Stuttgart). Klingt ganz einfach, wenn man sich diesen Prozess so einfach vorstellen will. Umso beeindruckender sind die Arbeiten, die daraus in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind: dokumentiert in Vanessa Henns gerade erschienener Monografie „Same Same“; und live zu erleben in ihrer aktuellen Ausstellung in der Galerie Sturm & Schober. Unter dem Titel „Soft Serve“ zeigt die in Berlin lebende Künstlerin neue Arbeiten, die fast ausschließlich in den vergangenen drei Monaten entstanden sind. Mit bemerkenswerter Konsequenz schöpft sie aus einer vorgefundenen Dingwelt, die sie in einen äußerst bereichernden Verwertungskreislauf überführt. Je nachdem, ob man das Material in den Blick nimmt oder die Formen, die sie daraus erschafft, finden sich in ihren Arbeiten Referenzen zur Arte Povera genauso wie zur Konkreten Kunst. Genaugenommen lässt sich das bei Vanessa Henn gar nicht trennen: Denn konkret ist ihre Kunst tatsächlich in einem formal-abstrakten Sinne. Aber die „poveren“ Materialien, mit denen sie arbeitet, erzählen immer auch von der Lebenswirklichkeit, aus der sie stammen. Das gilt für die meist gefundenen, ausrangierten Handläufe und Treppengeländer aus Holz, Eisen oder PVC genauso wie für die Baustoffe Beton, Gips oder Armierungsmatten, die ihren jüngsten Arbeiten vermehrt hinzukommen. Mit diesen Zutaten spielt und experimentiert die Künstlerin. Dabei formt, verformt oder deformiert sie nicht nur das Material, mit dem sie arbeitet, sondern insbesondere auch unsere Vorstellung davon. In der Wandarbeit La folie se gagne scheint der titelgebende Wahnsinn materiell und sinnbildlich durch die Gitterstäbe eines in Signalfarbe lackierten Zauns zu quellen. In der Arbeit Soft Serve wird der ausgehärtete Beton durch Fugenmaterial aus schwefelgelbem Polymergips „zusammen gehalten“. Und unter dem betonierten Duvet (einer Art gesteppter Daunenbettdecke) möchte man nicht freiwillig begraben liegen. In der Arbeit Bei Einbruch der Nacht wiederum führt die Bildhauerin den überhöhten Begriff der Sockelskulptur ebenso offensichtlich wie hintergründig ad absurdum. Dass Gestein selbst harten Stahl durchdringen kann, legen die wunderbaren Kleinplastiken Iceberg und Mountain nahe. Ähnlich suggestiv und konfrontativ geht Vanessa Henn in ihren skizzenhaften Collagen vor, in denen sie den beschriebenen Prozess des Beobachtens und Dokumentierens, des Sammelns, Arrangierens und Kombinierens zweidimensional verdichtet. Das ist nicht nur gut gemeint und gut gemacht, sondern immer auf den Punkt. Diese Gabe hat die Künstlerin verinnerlicht – als Bildhauerin genauso wie als Bildverwerterin. – DR. Ralf Christofori