Inge Dick
*15. Jänner 1941, in Wien
Inge Dick lebt und arbeitet seit 1984 in Innerschwand am Mondsee in Oberösterreich
Gerda Ridler: Zur Werkserie „jahres licht weiss“ von Inge Dick
Resonanzbeziehung
Wir leben in einer Welt, die von Geschwindigkeit, virtuellen Beziehungen und wachsender Entfremdung geprägt ist. In unserem beschleunigten Leben fehlt oft die Zeit, sich von Dingen und Menschen tiefer berühren zu lassen. Was dadurch verloren geht, ist die Resonanz, die uns in Einklang mit uns selbst und in Harmonie mit der uns umgebenden Welt bringt. „Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung“, sagt der Soziologe Hartmut Rosa, der die Qualität des menschlichen Lebens darin sieht, dass sie Ausdruck stabiler Resonanzverhältnisse ist. 1 Inge Dick ist ein Mensch, dem Resonanz im Tun und Denken wichtig ist. Sowohl ihre
Persönlichkeit als auch ihre Kunst erzeugen einen positiven Resonanzraum, dem man sich kaum entziehen kann. Das trifft auf alle ihre unterschiedlichen Werkserien zu, seien es ihre weißen Malereien, ihre architekturbezogenen Projekte, ihre Arbeiten mit Polaroids oder ihre filmischen Serien. Im Besonderen aber trifft es auf die Fotoarbeiten des jüngsten Projektes „jahres licht weiß“ zu, bei dem die Betrachter/innen einem nuancenreichen Farbspektrum gegenüber stehen, das sogleich ein Gefühl von Vertrautheit und Nähe erzeugt. Denn trotz ihrer Ungegenständlichkeit sind diese Werke Abbilder der Realität, die die „Unmittelbarkeit der Wirklichkeit“ darstellen. 2 „jahres licht weiß“ ist ein mehrteiliger Zyklus, der in den vergangen vier Jahren entstanden ist. Die Filme „herbst licht weiss” (2012), „sommer licht weiss“ (2013), „frühlings licht weiss“ (2014) und „winter licht weiss“ (2014/15) fügen sich zu einem außergewöhnlichen Jahreszeitenprojekt zusammen, das die Lichtfarben eines ganzen Jahres darstellt. Es ist eine besondere Form der künstlerischen Dokumentation, bei der es Inge Dick gelungen ist, das Licht zu visualisieren und seine chromatische Subtilität zu erschließen. Alle vier Filme machen die Licht- und Farbveränderungen auf einer weißen Fläche sichtbar, die jeweils im Frühling, Sommer, Herbst und Winter über mehrere Tage gefilmt wurde. Dazu wurde die monochrome Vorlage an einem neutralen Ort ohne direkte Lichtanstrahlung platziert. Der ideale Platz dafür ist das Atelier der Künstlerin im oberösterreichischen Salzkammergut. Direkt am See gelegen, ist das Natur- und Lichterlebnis an diesem Ort besonders intensiv, denn die unterschiedlichen Wetterverhältnisse erzeugen durch die Reflexionen des Lichts an der Wasseroberfläche stets andere Stimmungen und Farbeindrücke. Meist drei bis vier Tage wurde die Kamera unverändert und immer mit der gleichen Einstellung auf die weiße Fläche gerichtet. Sie zeichnete dabei die Veränderungen der Lichtintensität und den Wandel der Lichtfarbe auf, die ausschließlich durch den Rhythmus und Wechsel der Tageszeiten und den Einfluss der Natur bestimmt wurden. Gerda Ridler: Zur Werkserie „jahres licht weiss“ von Inge Dick Das umfangreiche Filmmaterial besteht aus insgesamt 382 Stunden und 54 Minuten digitaler Filmdaten und bildet die Basis für den nachfolgenden künstlerischen Auswahlprozess, aus dem die Fotoarbeiten, die sogenannten Filmstills, entstehen. Inge Dick wählt aus dem umfangreichen Filmarchiv einzelne Farbsequenzen aus und reiht sie in verschieden breiten Streifen chronologisch aneinander. Die vertikalen Strukturierungen verweisen in ihrer Rhythmisierung auf den zeitlichen Ablauf. Dieser wird von der Künstlerin exakt dokumentiert, indem sie wie eine Wissenschaftlerin Datum und Uhrzeit der Aufnahmen anhand der Timecodes auf den Farbstreifen vermerkt. Das reiche Spektrum der Farben der unterschiedlichen Jahreszeiten eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten der Kombination. Inge Dick überlässt dabei nichts dem Zufall, höchst präzise und sorgfältig wird jede einzelne Fotoarbeit nach ästhetischen Parametern komponiert. So entstehen minimalistisch anmutende Rasterbilder, die die Lichtfarben einzelner oder mehrerer Tage visualisieren und dabei einen überwältigenden Farbenreichtum zu Tage fördern. Im direkten Vergleich der einzelnen Jahreszeitenbilder wird deutlich und sichtbar, was wir einerseits intuitiv spüren: wie die Farben und das Lichtspektrum über das Jahr hin wechseln, wie sich der Frühling und der Sommer in hellerer und wärmerer Schattierung präsentieren als der Herbst und Winter, in denen die kühleren Blau- und Grautöne überwiegen. Andererseits birgt die Gegenüberstellung der einzelnen Jahreszeitenbilder aber auch völlig Überraschendes: nämlich eine unerwartet reiche koloristische Orchestrierung des Lichts, die uns begeistert und im Innersten anspricht. Der eingangs zitierte Hartmut Rosa ist überzeugt, dass das Prinzip der Resonanz unsere Wahrnehmung beeinflusst. Er zählt ästhetische Erlebnisse oder Erfahrungen des Im- Einklang-Seins mit der Natur zur Resonanz. Musik zu hören oder ein Bild zu betrachten kann genauso tiefe Glückserfahrungen bergen wie der Blick auf die Weite des Meeres, an dessen Horizont die Sonne untergeht. Die Kunst von Inge Dick ist ein großes Resonanzfeld, in das wir fasziniert eintauchen und das uns in der Tiefe berührt.
1 Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016, S. 13.
2 Heinz Gappmayr, in: Inge Dick, Große Polaroids (Ausst.Kat. Galerie Fotohof und Galerie Renate
Bender), Salzburg 1997, S. 5.
Dr. Gerda Ridler
Ausstellungen, Projekte und Messen mit der Galerie
Inge Dickviennacontemporary 2024
Luxembourg Art Week 2022
HÖHENFLUG IN DER KRISTIANIA GARAGE WINTER 2023/24
SOMMERGALERIE SALZBURG 2021